Freitag, 2. Juni 2023

Rezension - die Wahrheit über den Fall Harry Quebert

 Meine Rezension zu diesem Buch habe ich zuerst in der LiteraturzeitschriftPunktde veröffentlicht. Leider verschwand sie dort sehr schnell vom Radar. Auf mögliche Gründe gehe ich hier nicht ein. Vorbei ist vorbei. Ich nehme eine Rezension nie auf die leichte Schulter und mache mir damit immer viel Mühe. Zum einen möchte ich dem Autor dadurch zeigen, dass ich sein Werk zu schätzen weiß - auch wenn eine Rezi mal nicht so positiv ausfallen sollte. Zum anderen möchte ich als Viel-Leserin auch meinen Leser und Leserinnen das Medium Buch ans Herz legen. Ich freue mich, wenn meine Buchempfehlungen ein kleiner Wegweiser durch das Dickicht der vielen Bücher sind. Deswegen hole ich von nun an Rezensionen zu Büchern, die mir auch heute noch was bedeuten, nach und nach hervor und stelle sie hier neu ein. Alle Rezensionen findet Ihr unter dem Label Die geheime Kraft der Bücher 

Die Wahrheit über den Fall Harry Quebert von Joel Dicker 

Ein Shootingstar der Literaturszene. Eine Schreibblockade. Ein Mentor, der plötzlich eines Jahrzehnte zurückliegenden Mordes bezichtigt wird. So beginnt der Fall Harry Quebert, in dem wenig so ist, wie es scheint.

Wunderkind des Literaturbetriebs 

Mitte der Nuller Jahre ist Marcus Goldman der Überflieger des New Yorker Buchszene. Schon zu College-Zeiten firmierte er als “der Fabelhafte”, was allerdings weniger seinen tatsächlichen Qualitäten geschuldet war denn seiner unbestrittenen Begabung zur Hochstapelei. Nun aber ist er wirklich wer, er hat einen Bestseller geschrieben und wird überall gefeiert. Doch Ruhm ist vergänglich und er müsste nachlegen, wenn ihn nicht das Grundübel eines Schriftstellers befallen hätte: die gefürchtete Schreibblockade.

Der Ursprung des Übels 

So nimmt er nur zu gern die Einladung in das im idyllischen Küstenstädchen Aurora gelegene Haus seines früheren College-Professors Harry Quebert an, der ihm väterlicher Freund und Mentor in einem ist. Harry indes braucht bald selber Hilfe. In seinem Garten wird das Skelett der 1975 verschwundenen, damals 15jährigen Nola Kellergan gefunden. Harry hat vor 33 Jahren den Roman Der Ursprung des Übels publiziert, der als konkurrenzloser Maßstab der zeitgenössischen amerikanischen Literatur gilt. Doch Amerika muss plötzlich erkennen, das Werk ist tatsächlich nicht nur ein Ursprung. sondern auch ein Übel. Die darin thematisierte, vorgeblich fiktive Beziehung hat es tatsächlich gegeben, übler noch, die weibliche Protagonistin war minderjährig, sie war niemand anders als die Jahrzehnte lang verschwunden geglaubte Nola.

Die Wahrheit über den Fall 

Marcus Goldman erfuhr erst kurz vor dem Aufsehen erregenden Fund der leiblichen Überreste Nolas von den Hintergründen des immer bewunderten Buches seines Mentors. Was er indes nicht weiß, ist die Wahrheit über den Fall Harry Quebert. Es fällt ihm schwer genug, zu akzeptieren, dass der bewunderte Harry tatsächlich eine Minderjährige geliebt hat. Dass er auch noch ein Mörder sein soll, das kann und will er nicht glauben. Ungeachtet aller Drohungen und der nahenden Abgabefrist seines noch ungeschriebenen zweiten Romans nistet er sich in Harrys Haus ein, rauft sich mit dem Polizisten Gahalowood zusammen und trägt mit diesem gemeinsam Schicht für Schicht vom Berg möglicher Wahrheiten ab. Schließlich präsentiert er nicht nur einen Täter, sondern auch einen neuen Bestseller, den Fall Harry Quebert. Harry kommt frei, Marcus ist wieder ganz oben und alles könnte schick und schön sein.

Jeder sieht seine eigene Wahrheit  

Ist es aber nicht. Denn obwohl wir seit Oscar Wilde wissen, dass am Ende alles gut wird und es nicht das Ende ist, solange nicht alles gut ist, ist es hier umgekehrt. Bei Marcus, Gahalowood und Harry ist zwar alles gut, aber es ist leider nicht das Ende. Die Wahrheit über den Fall Harry Quebert ist mindestens genauso vielschichtig wie der Blick der Protagonisten auf die Liebe. Die Wahrheit offenbart sich auch nach mehreren Blicken nicht recht und der wahre Täter ist noch lange nicht entlarvt. Denn bis zu diesem Punkt hat jeder nur die Wahrheit gesehen, die er sehen wollte. Marcus lässt der Fall keine Ruhe, er stochert weiter im wieder undurchdringlichen Dickicht und mit ihm der Leser.

Alles muss neu geschrieben werden 

Ein Buch wie ein Autounfall. Man will nicht hinsehen, tut es aber doch. Hier will man nicht glauben, dass es immer noch nicht das Ende ist, dass noch eine Wendung wartet und noch eine. Irgendwann denkt man auch, es sei jetzt mal gut gewesen, noch einmal will man nicht umdenken und man tut es doch. Kann man es doch selber gar nicht fassen, auf welches Glatteis man sich da vom Autor hat führen lassen. Unwiderstehlich ist der Sog, den dieses Buch ausübt, geradezu unfassbar die Menge an Drehungen und Wendungen, die dieser Plot nimmt. So viele Wahrheiten, Gewissheiten, die plötzlich keine mehr sind und die ständig neu geschrieben werden müssen. Man wartet förmlich darauf, dass der Autor sich in seinen eigenen Fallstricken verheddert.Tut er aber nicht, was diverse Wiederholungen in neuen Blickwinkeln untermauern.

Nicht nur eine Geschichte 

Unterteilt ist das Buch in 31 Kapitel, die den 31 Regeln entsprechen, welche Harry Quebert dareinst seinem Schüler Marcus Goldman für sein Schriftsteller-Leben an die Hand gab. Die Kapitel sind von hinten nach vorne nummeriert, was den Leser von vornherein darauf hinweist, wie weit zurück hier gegraben werden wird. Das Ganze ist flüssig geschrieben, mit einem sehr sicheren Gespür für Stimmungen, gerade auch weil man sich gelegentlich nicht in Aurora, sondern in Twin Peaks wähnt. Auffällig ist die Begabung des Autors für Dialoge, die Tonlagen seiner handelnden Personen hält er genauso mühelos wie die vielen Fäden seiner Geschichte. Letztendlich ist es auch nicht eine Geschichte, die er erzählt, sondern viele. Und auch wenn er den Kreis fulminant schließt, wir werden nie wissen, wo genau der Ursprung des Übels jetzt wirklich lag. 

So viele Geschichten 

Aber das sollen wir wahrscheinlich auch gar nicht. Nach Harrys Regeln sollte das letzte Kapitel eines Buches das schönste sein, dasjenige, nach welchem man das Buch mit tiefem Bedauern aus der Hand legt. Nun ist hier das letzte Kapitel nicht wirklich schön, es endet eben doch nicht gut. Trotzdem verabschiedet man sich schwer.

Subtilität ist nicht seine Stärke 

Bei aller Begeisterung gibt es ein paar kleine Abzüge in der B-Note: Ab und an trägt der Autor zu dick auf. Subtilität ist seine Stärke nicht durchgehend. Man nehme nur den Namen des jungen Mädchen. Nola – Lola. Man darf wohl noch froh sein, dass er sie nicht Nolita genannt hat. Und bitte – es reicht jetzt an ringenden oder boxenden Schriftsteller-Figuren. Das hat sich jetzt wirklich langsam auserzählt, es wird inflationär und erzeugt nicht mehr als ein genervtes Gähnen.

Joel Dicker und sein Alter Ego 

Joël Dicker lebt als Schriftsteller in der französisch-sprachigen Schweiz und seine Wahrheit über den Fall Harry Quebert ist sein zweiter Roman. Das Werk ist in der Schweiz bereits preisgekrönt und scheint sich auch in Deutschland in einer guten Auflage zu verkaufen. Durchaus zu Recht, denn der Fall Harry Quebert ist Unterhaltung im besten Sinne. Liebhaber von Betroffenheitsgeseiere sowie von stilpuristischen Thrillern werden nicht so ganz auf ihre Kosten kommen, aber die breite Masse dazwischen, die einfach nur gut und abwechslungsreich unterhalten werden möchte, ganz sicher.

Joel Dicker 
Die Wahrheit über den Fall Harry Quebert
Piper Verlag 2013
EAN 978-3-492-05600-7
*Das Rezensionsexemplar und das Cover-Foto wurden mir vom Piper Verlag zur Verfügung gestellt. Als Bootsfrau weiß ich : Better safe than sorry.  Gilt immer. Auch für Lektüre und Blogposts. Deshalb kennzeichne ich der gängigen Praxis folgend diese Rezension als: Werbung, unbezahlt. 
Ein Wiederlesen mit Harry Quebert gibt es im neuen Buch von Joel Dicker: Der FAll Alaska Sanders

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